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Thomas Maulbetsch - Fachanwalt für Erbrecht in Obrigheim bei Mosbach
10.01.2023

Achtung bei Verwendung der Begriffe „vorweggenommene Erbfolge“

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat mit Beschluss vom 31.08.2022 – 3 W 55/22 - die folgende Fallgestaltung zu entscheiden.

Die Erblasserin verstarb verwitwet 2021 mit Hinterlassung von vier Kindern. Eines der Kinder beantragte einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, da kein Testament vorlag.

Notarvertrag im Wege vorweggenommener Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil

Die Erblasserin hatte aber zuvor mit notariell beurkundetem Überlassungsvertrag ein in ihrem Alleineigentum stehendes Grundstück unentgeltlich auf eines der Kinder übertragen und in der dortigen Ziffer 9 der Urkunde den folgenden Inhalt dargestellt: „Die Überlassung erfolgt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil des Erwerbers am künftigen Nachlass des Veräußerers“.

Weiter im Notarvertrag erklärten die anderen drei Geschwister und der damals lebende Ehemann einen sog. gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrag am zukünftigen Nachlass der Erblasserin in Bezug auf das im Wege vorweggenommener Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil übertragene Grundstück.

Überlassungsvertrag und letztwillige Verfügung

Nunmehr wendete ein anderes Kind mit einer Beschwerde ein, dass der Überlassungsvertrag von 1993 eine letztwillige Verfügung von Todes wegen darstellt, mit welcher das Kind, welches die Immobilie erhalten hat, von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen worden sei.

Nachdem das zuständige Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen hat, musste das Oberlandesgericht Brandenburg entscheiden.

Stillschweigende Enterbung liegt vor

Das Oberlandesgericht Brandenburg urteilt in seinem Beschluss aus, dass mit der Mitteilung „Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ zugleich eine Enterbung mit bloßer Pflichtteilsberechtigung des beschenkten Kindes liegt (BGH, NJW 2010, 3023, 3024). Mit der Auslegung wurde der Erblasserwille dahingehend ermittelt, dass mit der Zuwendung zugleich eine Enterbung des Empfängers gewünscht war und dies im Übergabevertrag festgelegt wurde. Es gibt zwar keine ausdrückliche Enterbung im Übergabevertrag, jedoch ist auch eine stillschweigende Enterbung möglich, wenn der Ausschließungswille eindeutig zum Ausdruck kommt (OLG Hamm, ZEV 2012, 314; OLG München, ZEV 2001, 153, 154).

Wirklicher Erblasserwille durch Auslegung ermitteln

Das Oberlandesgericht Brandenburg urteilt weiter aus, dass der Rechtsprechung des BGH in NJW 1993, 150, Rdnr. 10 f., bei der Auslegung eines jeden Testaments der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist.

Bei der Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers stellt das Oberlandesgericht fest, dass nicht nur die Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge erfolgt ist, sondern zusätzlich auch die Anrechnung der Zuwendung auf den Pflichtteil. Es lässt sich damit der Wille der Erblasserin entnehmen, dass dem Beteiligten allenfalls der Pflichtteil verbleiben sollte. Dieses Auslegungsergebnis wird auch damit begründet, dass die Verfügung nur Anordnungen, die nur den Pflichtteilsberechtigten treffen, enthält, nämlich die Anrechnung der Zuwendung auf dessen Pflichtteil nach § 2315 I BGB. Hierbei haben auch die anderen Kinder der Erblasserin für sich und ihre Nachkommen gegenständlich beschränkt auf ihr Pflichtteilsrecht am zukünftigen Nachlass der Erblasserin verzichtet und die Erblasserin hatte diesen Verzicht angenommen. Diese Argumente sprechen dafür, dass das Kind, welches die Immobilie erhalten hat, darüber hinaus nicht noch als gesetzlicher Erbe am Nachlass der Erblasserin partizipieren sollte.

Anmerkung von Fachanwalt für Erbrecht Thomas Maulbetsch

Ein Urteil, das in der Erbrechtswelt heftigster Kritik ausgesetzt ist. Dieser Kritik kann ich mich nur anschließen. Die zitierten Literaturstellen der Obergerichte betreffen nur Testamente und nicht Fallgestaltungen mit Übergabeverträgen in sog. vorweggenommener Erbfolge.

Es ist wieder einmal festzustellen, dass der Begriff „vorweggenommene Erbfolge“ nicht in einen Übergabevertrag aufgenommen werden sollte. Es wird jetzt in der Literatur teilweise der Hinweis gegeben, dass somit in jeden Notarvertrag mit einer Übergabe aufgenommen werden soll: „Diese Urkunde ist keine Verfügung von Todes wegen und enthält auch keine Enterbung gem. § 1938 BGB“.

Es könnte weiter auch nach Literaturstimmen bei der Anrechnung auf den Pflichtteil wie folgt formuliert werden: „Der Erwerber hat sich den Wert der Zuwendung auf ein etwaiges Pflichtteil am Nachlass des Übergebers anrechnen zu lassen“. Mit dem Adjektiv „etwaige“ wird nach Herrn Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz, klargestellt, dass die Übertragungsurkunde keine Entscheidung darüber enthält, ob der Erblasser nur den Pflichtteil erhält oder nicht.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Urteil ein Einzelfall bleibt, da tagtäglich in Deutschland Übergabeverträge beurkundet werden, um mit der sog. „warmen Hand“ Vermögen bereits in die nächste Generation zu übergeben. Im Regelfall sind dabei auch die anderen Kinder beim Notar anwesend und erhalten Gleichstellungsgelder oder verzichten – wie im Urteilsfall – auf etwaige Ansprüche gegenüber dem beschenkten Geschwisterteil. Vielfach ist auch der Hintergrund einer lebzeitigen Übergabe, dass die Immobilie nach dem Ablauf von 10 Jahren nicht mehr für eventuelle spätere Pflegeheimkosten des Schenkers haftet.






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