nach oben
Thomas Maulbetsch - Fachanwalt für Erbrecht in Obrigheim bei Mosbach
18.11.2020

Erbschaftsteuerfreibetrag der Urenkel im Regelfall nur € 100.000,00

Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 27.07.2020, Az. II B 39/20 (AdV) in einem Verfahren über den Antrag auf die Aussetzung der Vollziehung soweit ersichtlich erstmals Stellung dazu genommen, ob die Urenkel für den Fall, dass die Eltern und Großeltern noch nicht verstorben sind, einen Freibetrag für die Erbschaftsteuer bzw. Schenkungsteuer i.H.v. € 200.000,00 bzw. i.H.v. € 100.000,00 haben.

Im zu entscheidenden Fall hatte die Antragstellerin bzw. Beschwerdeführerin als Urenkelin von ihrer Urgroßmutter einen Miteigentumsanteil an einem Mietwohngrundstück erhalten, wobei für ihre Großmutter, die Tochter der Urgroßmutter, einen Nießbrauch auf Lebenszeit bestellt wurde.

Es war jetzt streitig, ob das zuständige Finanzamt einen Freibetrag i.H.v. € 100.000,00 nach § 16 I Nr. 4 oder einen Freibetrag i.H.v. € 200.000,00 nach § 16 I Nr. 3 Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz zu berücksichtigen hatte. Die Antragstellerin stellte neben ihrem Einspruch auch einen Antrag auf Durchsetzung der Vollziehung, über welchen jetzt der Bundesfinanzhof zu entscheiden hatte.

Angehörige der dazwischenliegenden Generationen leben noch

Der Bundesfinanzhof wies die zulässige Beschwerde gegen den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofes bestehen keine ernstliche Zweifel, was für den Erwerb eines Urenkels jedenfalls dann lediglich ein Freibetrag nach § 16 I Nr. 4 ErbStG i.H.v. € 100.000,00 steuerfrei bleibt, wenn Angehörigen der dazwischenliegenden Generationen – hier Großmutter und Eltern – noch am Leben sind.

Begriff der Kinder beinhaltet nicht Kindeskinder und weitere Abkömmlinge

Der Bundesfinanzhof begründet dies mit dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes. Hierbei wird der Begriff „Kinder“ in § 16 I ErbStG eindeutig nicht die Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge umfassen, sondern nur die Kinder. Die Verwendung des Begriffes „Kinder der Kinder“ in § 16 I Nr. 3 ErbStG schließt demnach ausschließlich nur Enkel ein, nicht die Urenkel.

Kinder und Abkömmlinge sind unterschiedliche Begriffe

Der Bundesfinanzhof begründet auch seine Auffassung damit, dass es eine Differenzierung in § 15 I Erbschaftsteuerklasse I ErbStG zwischen Nr. 2 (Kinder) und Nr. 3 (Abkömmlinge der in Nr. 2 genannten Kinder), gibt, so dass der Gesetzgeber den Begriff „Kinder“ zielgenau einsetzt. Meint der Gesetzgeber sämtliche nachfolgenden Generationen in direkter Linie, so wird der Begriff „Abkömmlinge“ benutzt, meint der Gesetzgeber lediglich die Kinder der Kinder, so hat er dies so formuliert.

Weitere Begründung des Bundesfinanzhofes ist, dass in § 16 I ErbStG zwischen verschiedenen Erwerbergruppen trotz gleicher Steuerklasse ausdrücklich differenziert wird. Diese Unterscheidung wird bereits in § 16 I Nr. 2 und § 16 I Nr. 3 ErbStG durchgeführt.

Halbierung des Freibetrags als Grundmodell bei weitere Generation

Letztendlich wird auch der Beschluss damit begründet, dass die Steuerklasse und Freibeträge auf einem typisierten Grundmodel beruhen. Das Grundmodel ist, dass jede Generation jeweils zwei Kinder hat, was zu einer Verdoppelung der Anzahl der Abkömmlinge in jeweils einer Generation zur Folge hat. Dies erklärt die Halbierung des Freibetrages in § 16 I Nr. 2 ErbStG für Kinder zu § 16 I Nr. 3 ErbStG mit wenigstens für die Enkelkinder. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig und systemgerecht – so der Bundesfinanzhof, wenn sich die weitere Halbierung des Freibetrages nach § 16 I Nr. 3 ErbStG in § 16 I Nr. 4 ErbStG mit einem weiteren Schritt in der Generationenfolge deckt.

Der Bundesfinanzhof teilt noch weiter mit, dass es bereits fraglich erscheint, ob Urenkel, deren Eltern und Großeltern zum Zeitpunkt des Anfalls nicht mehr am Leben sind, tatsächlich den Erbschaftsteuerfreibetrag nach § 16 I Nr. 2 ErbStG in Anspruch nehmen können. Dies ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht zweifelsfrei, war jedoch hier nicht zu entscheiden. Jedoch sollte dies für spätere Verfahren beachtet werden.

Eigene Anmerkung RA und Fachanwalt für Erbrecht Thomas Maulbetsch

Der Bundesfinanzhof urteilt strikt an der Gesetzessystematik aus. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass bei einer Erbschaft bzw. Schenkung an einen Urenkel, wenn die Großeltern und entsprechende Elternteil noch leben, es leider nur den Freibetrag i.H.v. € 100.000,00 gibt.

Weiter ist zu beachten, dass nach Meinung des Bundesfinanzhofes, auch wenn dies nur in einem Nebensatz erwähnt wird, beim Vorversterben von Eltern und Großeltern es fraglich ist, ob der Freibetrag nach § 16 I Nr. 2 ErbStG i.H.v. € 400.000,00 in Anspruch genommen werden kann. Hierzu liegt jedoch noch keinerlei höchstrichterliche Rechtsprechung vor, jedoch ist dieser Hinweis zu beachten.

Es liegt jetzt eine gesicherte Rechtsprechung für diese Rechtsfrage vor, die bis dato – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist.






← zurück

Nehmen Sie jetzt Kontakt auf

*
*
*
*

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen.
Ich willige ein, dass meine personenbezogenen Daten entsprechend meiner Anfrage verarbeitet werden.


Kontakt
Ausgezeichnet durch:

Capital 2022Focus 2023Focus 2022Focus 2021Focus 2020WiWo 2019

Empfohlen durch:

WWF Christoffel Blindenmission Verband Wohneigentum e.V. Stiftung Childaid Network OM Deutschland GBA Ships Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V.
In Kooperation mit:

Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten e.V. Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Mediation im Erbrecht