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Thomas Maulbetsch - Fachanwalt für Erbrecht in Obrigheim bei Mosbach
19.04.2020

Ausgleichung und Forderung eines Miterben gegen den Nachlass für Pflegeleistungen

Das OLG Frankfurt hat mit Urteil vom 07.02.2020 – 13 U 31/18 – folgende Fallgestaltung zu entscheiden:

Strittig war, ob einem der Beteiligten ein Ausgleichung für Pflegekosten und Pflegeleistung für die Erblasserin i. H. v. 40.000,00 € gem. § 2057a BGB zustand.

Höhe des Ausgleichungsanspruchs für Pflege war strittig

Die Erblasserin war 2016 verstorben. Das forderungsberechtigte Kind pflegte die Erblasserin seit 01.01.2006 bis zu ihrem Tod, zunächst in deren eigener Wohnung und ab Oktober 2009 im eigenen Haushalt des pflegenden Kindes. Es erhielt dabei Unterstützung von seiner Familie und von einem ambulanten Pflegedienst. Solange die Erblasserin in ihrer eigenen Wohnung lebte, war zudem eine Haushaltshilfe für sie tätig.

Etwa ab dem Zeitpunkt des Umzugs zum pflegenden Kind im Oktober 2009 litt die Erblasserin an ausgeprägter Demenz. Für den Zeitraum 01.01.2006-31.12.2009 war die Erblasserin in Pflegestufe I eingestuft, für den Zeitraum 01.01.2010-31.12.2012 in Pflegestufe II und ab dem 01.01.2013 bis zum Tod im Jahre 2016 in Pflegestufe III. Das Pflegegeld zahlte die Pflegeversicherung an das pflegende Kind als Pflegeperson. Die Erblasserin hatte eine monatliche Rente von 400,00 €, der Nachlass einen Wert von rund 166.000,00 €.

Es war jetzt strittig, ob für die Pflege ein angemessenes Entgelt von 40.000,00 € dem pflegenden Kind für seine Pflegeleistungen zustand.

Begriff der Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch

Das OLG Frankfurt urteilt aus, dass dem pflegenden Kind nach § 2057a BGB aufgrund Leistungen, die im Rahmen des Begriffs der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI aufgeführt sind, ein Anspruch i. H. v. 40.000,00 € zusteht. Unter Pflegeleistungen fallen dabei auch die bloße Anwesenheit des Abkömmlings. Da die Pflegebedürftigkeit durch die Einstufung in den Pflegegraden vorlag, musste das pflegende Kind nicht Pflegeleistungen im Einzelnen aufzählen. Es reicht aus, dass das Kind hauptverantwortlich für die Pflege mit der Unterstützung seiner Familie, einer Haushaltshilfe bzw. des Angebotes des Pflegedienstes war und es die gesamte Pflege der Erblasserin übernommen hat. Dies war zum Schluss eine vollständige Betreuung und permanente Überwachung der Erblasserin für 24 Stunden am Tag.

Gesetzliche Voraussetzungen für Ausgleichung bei Pflege

Das pflegende Kind hat mit den erbrachten Pflegeleistungen auch über einen längeren Zeitraum in besonderem Maße dazu beigetragen, das Vermögen bzw. den Nachlasswert der Erblasserin zu erhalten. Es lagen überobligatorische Leistungen vor und auch hier müssen die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags aufgrund der familiären Situation nicht übersteigert werden (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 22.11.2016, 3 U 25/16, juris Rdnr. 47), so das OLG Frankfurt. Die Erblasserin war in einem Zustand vollständiger Hilflosigkeit aufgrund ihrer weiter fortgeschrittenen Demenz und das Kind hatte sie 7 Jahre in die eigene Wohnung aufgenommen und dort gepflegt. Dessen Tätigkeiten gehen somit über die Unterstützungsleistung im Rahmen eines Eltern-Kind-Verhältnisses hinaus.

Erhaltung des Erblasservermögens

Das OLG Frankfurt urteilt weiter aus, dass das Kind auch zur Erhaltung des Erblasservermögens beigetragen hat in der Gestalt einer Ersparnis bei fiktiver Gegenrechnung von Leistungen aus der Pflegeversicherung in Bezug auf die Ersparung einer professionellen Pflege oder gar einer Heimunterbringung. Es kommt hier nicht darauf an, in welcher konkreten Höhe für welche Pflegeleistungen, namentlich für die Haushaltshilfe oder für den Pflegedienst, Kosten angefallen sind, da durch die Rund-um-die-Uhr-Betreuung die Erblasserin durch erhebliche Pflegeleistungen unterstützt wurde. Aufgrund ihrer völligen Hilflosigkeit wäre die Erblasserin spätestens 2009 in einem Pflegeheim unterzubringen gewesen, so hat das Kind das Erblasservermögen insbesondere vor Kosten für eine Heimunterbringung bewahrt bzw. diese erspart.

Auf die Höhe von 40.000,00 € muss keine detaillierte Einzelfeststellung durchgeführt werden, sondern es reicht eine Gesamtschau über Dauer und Umfang, den täglichen Aufwand und die Höhe der überlassenen Geldmittel aus, so das OLG Frankfurt. Einzustellen ist außerdem der immaterielle Wert der Pflege für die Erblasserin. Dabei darf aber der Wert des gesamten Nachlasses nicht erreicht werden.

Berechnung der für Pflege aufgewendeten täglichen Stunden

Das OLG Frankfurt berechnet jetzt für den Zeitraum Oktober 2009 bis zum Tod, dass 81 Monate gepflegt wurden. Für den Zeitaufwand können die Pflegestufen herangezogen werden, bei Pflegestufe I mindestens 90 Minuten, bei Pflegestufe II mindestens 3 Std. und bei Pflegestufe III mindestens 5 Std. am Tag (Staudinger/Löhnig, BGB, Stand 2016, § 2057a Rdnr. 17). Weiter ist im vorliegenden Fall noch zusätzlich die ausgeprägte Demenz und die Permanentaufsicht zu berücksichtigen, so dass das OLG Frankfurt für den Zeitraum 2009-2012 auf 4 Std. täglich und danach auf 6 Std. täglich die Pflegeleistung geschätzt hat.

Berechnung der Ersparnis von Pflegeheimkosten

Wäre die Erblasserin dann in ein Pflegeheim gezogen, so waren damals aufgrund der Pflegestatistik die durchschnittlichen Heimkosten für Pflegebedürftige der Pflegestufe II mit rund 2.400,00 €/Monat und für Pflegestufe III mit rund 3.000,00 €/Monat anzusetzen. Der Eigenanteil der Erblasserin wäre – bei einer Orientierung am Bundesdurchschnitt – auf 1.600,00 €/Monat  zu schätzen gewesen. Hier hätte die Erblasserin Eigenmittel aus Rente, Taschengeld aus einem Übergabevertrag i. H. v. insgesamt 900,00 €/Monat einsetzen können. Bei einem Fehlbetrag von 700,00 €/Monat und 81 Monaten ergibt dies einen ersparten Betrag von 65.700,00 €. Dieser Betrag übersteigt bei weitem die geforderten 40.000,00 €, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass zusätzlich ein Betrag von 16.000,00 € aus dem Vermögen der Erblasserin für die Kosten der Pflege aufgewendet worden ist, so das OLG Frankfurt. Dabei sind noch gar nicht aufgrund der Pflegetätigkeit bedingte Einkommensbußen des Kindes wegen seiner Tätigkeit als Fahrlehrer und Umbaukosten berücksichtigt worden. Da beim Ausgleichungsbetrag nur der Eigenanteil der Erblasserin zugrunde gelegt wird, spielt es auch keine Rolle, in welcher Höhe die Erblasserin Pflegegelder und Pflegesachleistungen bezogen hat.

Anmerkung von Rechtsanwalt  Thomas Maulbetsch

Das OLG Frankfurt urteilt in erfreulicher Deutlichkeit die Grundlagen der Berechnung eines Ausgleichungsbetrages für Pflegetätigkeiten von Kindern im Rahmen des § 2057a BGB im vorliegenden Fall nachvollziehbar aus. Zur Berechnung von Ansprüchen in diesem Bereich sollte jeder erbrechtlich visierte Anwalt/Anwältin dieses Urteil kennen.

Es ist festzustellen, dass die Gerichte mittlerweile vermehrt in diesen Fallgestaltungen zu Recht angemessene Ausgleichungsbeträge anhand der Einstufung in Pflegestufen bzw. Pfleggeraden ausurteilen, welche dann bei der Auseinandersetzung zunächst vorab durch das zu pflegende Kind aus dem Nachlass herauszunehmen sind. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass jedoch jeder Fall einzeln zu betrachten ist.






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