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Thomas Maulbetsch - Fachanwalt für Erbrecht in Obrigheim bei Mosbach
29.12.2020

Wert von Pflegeleistungen und Betreuungsleistungen

Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich mit Hinweisbeschluss vom 24.09.2020 – 12 U 646/20 – mit folgender Fallgestaltung zu befassen:

Die Erblasserin verkaufte zu Lebzeiten ihr Hausanwesen zu einem Verkaufserlös i.H.v. € 150.000,00 und wandte daraufhin der Beklagten dieses Geld in Anrechnung von Pflegeleistungen und Betreuungsleistung der Beklagten für die Erblasserin zu.

Grundlage dieser Zuwendung war eine Erklärung der Erblasserin auf die Vergangenheit und die Zukunft gerichtet mit der Beklagten dergestalt, dass die Beklagte den Erlös aus dem Hausverkauf erhält und im Gegenzug dazu die täglichen Verrichtungen sowie die persönlichen Zuwendungen für die Erblasserin durchführt, die die Beklagte bereits seit Oktober 2010 ihr entgegenbrachte und nach ihrer Vorstellung nach künftig entgegenbringen sollte.

Subjektive Vorstellungen der Vertragspartner entscheiden

Hier war jetzt strittig, inwieweit dies zu beachten sei. Das Oberlandesgericht Koblenz führt aus, dass die persönlichen Leistungen der Beklagten unabhängig davon in die Bewertung mit einzubeziehen sind, ob die Erblasserin im Zeitpunkt ihrer Erklärung pflegebedürftig war, ob sie zu Hause durch eine professionelle Tagespflege (mit-) versorgt wurde und/oder sich in einem Pflegeheim befand (vgl. BGH NJW 2017, 329). Laut dem OLG Koblenz entscheiden allein die subjektiven Vorstellungen der Vertragspartner, hier der Erklärenden.

Somit stand es der Erblasserin zunächst frei, darüber zu entscheiden, ob die unentgeltliche Zuwendung des Erlöses aus dem Hausverkauf mit einer anderen von der Beklagten erbrachten Leistung verknüpft und somit die Unentgeltlichkeit (teilweise) ausgeschlossen werden sollte. Zum anderen war es grundsätzlich im Belieben der Erblasserin, die Wertverhältnisse der auszutauschenden Leistungen selbst zu bestimmen nach dem Prinzip der subjektiven Äquivalenz. Ob der Wert von der Beklagten ausgehenden Leistung gleichwertig war oder nicht – so das Oberlandesgericht Koblenz – sollte daher zunächst der subjektiven Bewertung der Bestimmenden, hier der Erblasserin, selbst unterliegen, die auf Grund ihrer Privatautonomie grundsätzlich selbst über ihr Vermögen frei disponieren konnte (vgl. BGH NJW 1995, 1379; BGH NJW-RR 1996, 754).

Willkür begrenzt Höhe des Entgelts

Auf Grund der Privatautonomie konnte die Erblasserin objektiv eventuell wesentlich geringere Gegenleistungen subjektiv noch als gleichwertig ansehen. Die Grenze ist hierbei bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung durch die Parteien, dass sie nicht auf Willkür beruhen und zu einer Aushöhlung des Pflichtteilsanspruchs auf Seiten der Klägerin führen dürfen, weil die Erblasserin sich hier aus Vermögen defacto zu ihrem, der Klägerin Nachteil ganz oder teilweisen unter Weitergabe ihres Vermögens an Dritte begibt, indem sie erbrachte Zuwendung mit einer im groben Missverhältnis zu dieser Leistung stehenden Gegenleistung verknüpft und die Gegenleistung vor der Ausgleichungspflicht im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsrechts entzieht.

Motivation der Erblasserin entscheidet über Höhe des Entgelts

Ausgehend von diesen Grundsätzen verneint das Oberlandesgericht Koblenz dies im vorliegenden Fall. Die Erblasserin hat in ihrer Erklärung von 2012 selbst keinen nominellen Wert der von den Beklagten erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen festgelegt. Das Landgericht als Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang die Pflege-/Betreuungsleistung der Beklagten mit einem Wert i.H.v. monatlich € 1.000,00 in Ansatz gebracht. Dies erscheint dem Oberlandesgericht Koblenz mit Blick auf die erkennbaren und spezifischen Überlegungen und persönlichen Verhältnisse, in welchen die Erblasserin lebte, nicht überhöht. Angesichts der aus der Erklärung der Erblasserin hervortretenden besonderen und auch allgemeinen nachvollziehbaren Motivation hält die Festsetzung des Landgerichts auch die Überzeugung des Senats des Oberlandesgerichts Koblenz insoweit einer Überprüfung stand.

Leistungen zu Hause und im Pflegeheim sind gleichwertig

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erblasserin zunächst keinen Unterschied zwischen der Wertigkeit der beklagtenseits erbrachten Leistungen im Rahmen der Lebensverhältnisse zu Hause und im Pflegeheim erbracht hat. Die Erblasserin hat in ihrer Erklärung darauf abgestellt, dass die Beklagte ihr zu Hause die Einkäufe erledigte, sie mit Mittagessen versorgt, ihre Wäsche gewaschen und sie auch medikamentös versorgt habe; sie hat auch andererseits betont, dass die Beklagte sie im Heim mehrmals wöchentlich besuche und sie auch – gelegentlich – mit nach Hause zum Essen nehme oder sie in Restaurant einlade. Aus Sicht der Erblasserin räumte sie den während des Heimaufenthalts erbrachten Leistung der Beklagten und auch künftig zur erbringenden „sozialen Verrichtung“ einen ebenso hohen Stellenwert ein wie die Pflegeleistungen zu Hause.

Schaffung von finanziellen Reizen ist zu akzeptieren

Der Erblasserin musste insoweit – so das Oberlandesgericht Koblenz – im Rahmen ihrer Privatautonomie freistehen, den vorgenannten, aus ihrer Sicht existenziellen Bedürfnissen auch eine herausragende Bedeutung beizumessen und finanzielle Anreize zu schaffen, um ihre Zielsetzung zu erreichen und derartige Leistungen Dritter zu erhalten, unabhängig von dem tatsächlichen Aufwand und dem „Marktwert“, der mit der Erbringung solcher Dienste für den Leistenden – die Beklagte – verbunden sein würde.

Zeitpunkt der Erlösüberlassung ist entscheidend

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Wertes der ins Auge gefassten Pflegeleistung/sonstigen Verrichtung der Beklagten ist der Zeitpunkt, in dem hier die hier in Relation zueinander gestellten Leistungen, die Überlassung des Verkaufserlöses einerseits und die von der Beklagten bereits erbrachten und noch zu erbringenden persönlichen Leistungen andererseits, miteinander verknüpft werden. Dabei ist entscheidend auf den Zeitpunkt der Überlassung des Verkaufserlöses, also Juli 2011 (BGH NJW 2017, 329) unter Einbeziehung des Zeitraums ab Oktober 2010, auf den sich die Leistungsverknüpfung nach dem Willen der Erblasserin ebenfalls rückwirkend beziehen sollte, abzustellen.

Spätere tatsächliche Entwicklung spielt keine Rolle

Insoweit ist für die Bewertung nicht maßgeblich auf die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände zu rekurrieren. Maßgeblich ist hier also auf die Prognoseentscheidung der Erblasserin und der Beklagten anhand einer subjektiven Bewertung bezogen auf den Zeitpunkt, von dem ab die Leistungsverknüpfung gelten sollte, mithin auf Oktober 2010 abzustellen, da die „Schenkung“ von der Erblasserin in der sicheren Erwartungshaltung folgte, dass sie für den Rest ihres Lebens die Beklagte versorgt bzw. sozial eingebunden sein würde. Der Wert der Beklagtenseits zu erbringender Leistung ist damit mit der allgemeinen statistischen Lebenserwartung der Erblasserin zum Zeitpunkt Oktober 2010 zu multiplizieren. Daraus errechnet sich dann der Betrag.

Eigene Anmerkung von RA und Fachanwalt für Erbrecht Thomas Maulbetsch

Das Oberlandesgericht Koblenz stellt in begrüßenswerter Weise deutlich die subjektive Äquivalenz im Bezug auf Betreuungsleistungen für zeitlich vor Abschluss einer Vereinbarung über deren Entgeltlichkeit und für zeitlich spätere Tätigkeiten dar. Es ist unverkennbar, dass sich die Urteile in diesem Bereich häufen. Somit wird durch die Rechtsprechung eine zukünftige Rechtsicherheit für alle Mitbürger geschaffen.






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