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Thomas Maulbetsch - Fachanwalt für Erbrecht in Obrigheim bei Mosbach
29.07.2021

Rücktritt vom Erbvertrag durch Erklärung gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten zulässig

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 27.01.2020 – XII ZB 450/20 – eine lange Zeit sehr strittige Rechtsfrage im Sinne von uns Bürgern, welche eine Vorsorgevollmacht rechtzeitig erstellt haben, gelöst.

Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Betroffene und ihr Ehemann schlossen 2006 einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich durch vertraglich angeordnete Verfügung jeweils mit Vermächtnissen bedachten und den notariell zu beurkundenden Rücktritt sich vorbehielten. Die Betroffene erteilte dann 2015 ihren beiden Kindern eine umfassende Vorsorgevollmacht.

Ehemann erklärt Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber Vorsorgebevollmächtigten der Ehefrau

Ihr Ehemann erklärte mit notarieller Urkunde vom 15.04.2020 den Rücktritt vom Erbvertrag. Diese Urkunde wurde der Betroffenen und einem Vorsorgebevollmächtigten zugestellt. Das zuständige Amtsgericht regte dann die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung an, obwohl eine Vorsorgevollmacht vorlag. Das Landgericht hat anschließend die Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis Entgegennahme der Rücktrittserklärung abgelehnt mit der Begründung, dass eine Vorsorgevollmacht vorliegt. Hiergegen ging der rücktretende Ehemann vor.

Rücktritt kann gegenüber Bevollmächtigten des Erbvertragspartners erfolgen

Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs war die Einrichtung einer Betreuung zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung nicht nötig. Begründet wird dies damit, dass eine umfassende Vorsorgevollmacht vorlag. Der Rücktritt vom Erbvertrag erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragschließenden. Als empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf der Rücktritt bei Abgabe in Abwesenheit des Erklärungsgegners des Zugangs bei diesem, um wirksam zu werden. Ist der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden, schließt dies den Rücktritt vom Erbvertrag nicht aus. Gleiches gilt für wechselbezügliche Verfügungen in einem Ehegattentestament bzw. den Widerruf.

Einrichtung einer Betreuung war nicht nötig

Laut Bundesgerichtshof kann im vorliegenden Fall der Rücktritt vom Erbvertrag auch gegenüber dem Kind als Vorsorgebevollmächtigten erklärt werden, so dass es keine Betreuerbestellung bedurfte. Dies wird damit begründet, dass die Rechtsprechung bereits anerkannt hat, dass ein Rücktritt vom Erbvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden bzw. des anderen Ehegattens gegenüber einem von diesem wirksam Bevollmächtigten erfolgen kann.

Entgegenahme der Rücktrittserklärung ist keine höchstpersönliche Angelegenheit

Nach richtiger Ansicht kann der Rücktritt vom Erbvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigten erfolgen. Denn anders als bei der Abgabe der Rücktrittserklärung, die nicht durch einen Vertreter erfolgen kann, handelt es sich bei der Entgegennahme bei der Rücktritterklärung nicht um eine höchstpersönliche Angelegenheit.

Somit ist eine Vertretung im Grundsatz möglich. Die rechtliche Situation, in der der Geschäftsunfähige durch den gegenüber seinem rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter erklärten Rücktritt vom Erbvertrag gebracht wird, unterscheidet sich strukturell nicht von derjenigen, die sich bei einem gegenüber einem Betreuer als gesetzlichen Vertreter erfolgten Rücktritt ergibt. In beiden Fällen sind die letztwilligen Verfügungen der Vertragschließenden mit Zugang der Erklärung unwirksam.

Bundesgerichtshof weist auf Risiken in Bezug auf den Bevollmächtigten hin

Der Bundesgerichtshof weist jedoch darauf hin, dass mit der gewillkürten Stellvertretung im Rahmen des § 2296 Absatz 2 Satz 1 BGB ein höheres Risiko für einen noch testierfähigen Vertretenen verbunden sein kann als mit einer gesetzlichen Vertretung durch den Betreuer. Denkbar sind dann nämlich insbesondere die Fälle, in denen gerade der zurücktretende andere Vertragschließende zugleich vom Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Bevollmächtigter ist, der Vertretene keine Kenntnis vom Rücktritt erhält und so vereitelt wird, dass er etwa durch letztwillige Verfügungen auf den Rücktritt reagiert.

Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war jedoch die Vorsorgevollmacht einem Dritten erteilt worden, so dass eine Missbrauchsgefahr oder eine Interessenkollision im Zusammenhang mit der Entgegennahme des Rücktritts des Erbvertrags weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich war. Wäre dies anders, so müsste das Betreuungsgericht im Übrigen hinterfragen, ob die Angelegenheit des Betroffenen durch den Bevollmächtigten insoweit ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden könnte.

Zurücktretende trägt Risiko der Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht

Schließlich gibt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung Anlass, dass der vom Erbvertrag Zurücktretende das Risiko der Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht trägt. Ist etwa zweifelhaft, ob der andere Vertragschließende bereits bei Vollmachterteilung geschäftsunfähig war, kann er beim Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers für den Rücktrittsgegner anregen, die eine gerichtliche Überprüfung und dessen Geschäftsfähigkeit der Vollmachterteilung nach sich ziehen wird.

Eigene Anmerkung von RA und Fachanwalt für Erbrecht Thomas Maulbetsch

Der Bundesgerichtshof löst hier eine lange Zeit vorliegende Streitfrage zu Gunsten uns Mitbürgern auf. Bei der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an einen Ehepartner und beim Vorliegen eines gemeinsamen Erbvertrages ist jetzt immer zu prüfen, ob der andere Ehepartner als Vorsorgebevollmächtigter vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB befreit werden soll.






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